Aus: Berliner Zeitung, 07.12.2023
Quelle: Berliner Zeitung, 07.12.2023
Nach dem Ende des Fraktionsstatus ist die Partei Die Linke weiter auf der Suche nach sich selbst. Es tobt ein Richtungskampf.
Von Ramon Schack
Erkner, Ende November. In der idyllischen Kleinstadt, vor den Toren Berlins, ereignete sich ein politisches Erdbeben. Es tagt die Mitgliederversammlung des Karl-Liebknecht-Kreises, einem innerparteilichen Diskussionsforum in der Partei Die Linke Brandenburg.
Erkner ist auch der Gründungsort, wo rund ein Jahr zuvor die Mitglieder des nach dem 1919 ermordeten Politikers ihren Kreis aus der Taufe hoben. Ursprünglich als Diskussionszirkel konzipiert, fungierte der Karl-Liebknecht-Kreis als Plattform, um die ideologische Ausrichtung der Partei auf Bundesebene zu kritisieren und zu hinterfragen.
Ausgrenzung der innerparteilichen Opposition
An diesem Sonntag wurde der Kreis aber zu einer Art Fanal – das Schicksal und die Zukunft eben jener Partei Die Linke betreffend. In dem großen Saal des GefAS-Gelände, der Gesellschaft für Arbeit und Soziales, verkündete Niels Olaf Lüders, einer der Sprecher des Kreises: „Wir bleiben Genossinnen und Genossen“. Es wird am Ende der Sitzung einen kollektiven Austritt aus Der Linken geben. Der Rechtsanwalt aus Königs Wusterhausen, Jahrgang 1966, war 2021 noch Bundestagskandidat der Linken, steht aber schon seit Längerem in Opposition zur Parteilinie, womit er natürlich nicht alleine ist, nicht nur in Brandenburg.
Mit Hinweis auf Karl Liebknecht, der aus Protest gegen die Kriegszustimmung der damaligen SPD im wilhelminischen Deutschland sich seinerzeit von der Partei trennte, erinnert der Vorsitzende der Kreistagsfraktion Dr. Arthur Pech an die historische Persönlichkeit, welche als Namensgeber dieses Kreises heute fungiert.
Pech übt heftige Kritik an der aktuellen politischen Orientierung und Ausdehnung der Partei Die Linke, was bei den 35 anwesenden Mitgliedern auf lebhafte Zustimmung trifft. Vor allem der gerade zu Ende gegangene Bundesparteitag der Linken wird von einigen Mitgliedern als traumatisch geschildert, als ein Parteitag der Ausgrenzung, welcher unter dem Kommando von Katina Schubert gestanden haben soll. Schubert, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, so berichten Mitglieder, die in Augsburg vor Ort waren, war federführend an der Ausgrenzung der innerparteilichen Opposition beteiligt.
Es wurde sich gegenseitiger Respekt versichert
Wie es mit dem Karl-Liebknecht-Kreis weitergeht, konnte an diesem Nachmittag noch nicht geklärt werden. Sicher ist aber, dass bis zum späten Nachmittag 20 Mitglieder des Karl-Liebknecht-Kreises Brandenburg Die Linke verlassen haben, also etwas mehr als die Hälfte. Darunter auch Niels-Olaf Lüders, der schon zuvor aus seiner Nähe zu den Positionen des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“ keinen Hehl gemacht hat, Lüders geht sogar davon aus, dass diese Liste bis zum Stichtag sicher noch länger werden kann.
Die Mitglieder versicherten sich gegen Ende der Veranstaltung aber ihren gegenseitigen Respekt, sowie das Ziel, weiterhin gemeinsam im Karl-Liebknecht-Kreis zu kooperieren. Hier unterscheidet sich die Landesebene sehr deutlich von der aktuellen Ausgangslage im Bund. Kurz vor der Verabschiedung eröffnet Lüders, von Beifall unterbrochen, einen Ausblick auf den „Was Tun“-Kongress in Frankfurt am Main.
Notwendigkeit für eine neue wahlpolitische Kraft
2. Dezember. Ein Wochenende später in Frankfurt am Main. Im Schatten der Wolkenkratzer tagt in den nüchternen Räumen eines Gewerkschaftshauses der „Was Tun“-Kongress. Diese Konferenz findet zwei Wochen nach dem Parteitag der Linken sowie eine Woche nach der großen Friedensdemonstration in Berlin statt.
Einer der Organisatoren, Andreas Grünwald aus Hamburg, erläutert in einem Impuls-Referat, worum es geht und was die Beweggründe sind: „Ich denke, man kann über die Art und Weise der Bildung des ‚Bündnisses Sahra Wagenknecht‘ streiten, also ob es richtig war und ist, dieses Bündnis nur in kleineren Zirkeln voranzubringen, ob dies politisch klug bzw. optimal gewesen ist. Aber die Notwendigkeit für eine neue wahlpolitische Kraft kann gesellschaftspolitisch nicht bestritten werden. Wir benötigen eine Kraft, die Friedenspositionen in der Gesellschaft stärkt. Eine Kraft, die unsere sozialen Interessen in den Mittelpunkt rückt, denn nur so können auch Umweltschutz, Demokratie und Menschenrechte verteidigt und durchgesetzt werden. Viele von uns werden deshalb in dieser Partei mitwirken oder auch lokale Unterstützerinitiativen für den Wahlkampf bilden, in denen sie ihre Wahlempfehlungen politisch begründen werden. Um mittelfristig erfolgreich zu bleiben, wird es aber darauf ankommen, sich auch mit den real stattfindenden außerparlamentarischen Kämpfern zu verbinden. Die Aktiven in den ‚Was-tun‘-Zusammenhängen verstehen sich als Sozialistinnen und Sozialisten. Wir versuchen, solche Standpunkte auch in die neue Partei einzubringen.“
Die Linke-Fraktion im Bundestag ist Geschichte
Unter vier Augen erläutert Grünwald, dass er die Konferenz als auch Netzwerke wie „Was Tun“ als Stärkung von sozialistischen Positionen innerhalb der Partei Die Linke als auch dem BSW interpretiert. Dieser Eindruck mag an diesem Tag in Frankfurt eine gewisse Bestätigung erhalten, aber gilt er auch für die programmatische Ausrichtung des BSW?
Von dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ sind Andrej Hunko und Klaus Ernst zeitweise anwesend. Wie auch in Erkner zuvor lässt sich hier am Main beobachten, dass der Ton zwischen Mitgliedern und Mandatsträgern, die in der Partei Der Linken verbleiben, sowie solchen, die schon gegangen sind, versöhnlich bleibt.
Eine junge Frau äußert sich folgendermaßen: „Ich bleibe in der Partei Die Linke, so lange es geht, habe aber für das BSW Sympathien.“ So wie sie klingen nicht wenige an diesem Tag in Frankfurt.
6. Dezember 2023. Die Linke-Fraktion im Bundestag ist Geschichte. 18 Jahre nach ihrer Gründung hat sie aufgehört zu existieren. Innerhalb der Partei Die Linke hält der Gärungsprozess noch an. Dieser kann zu einer Art Explosion führen, wohl nach den Wahlen in Ostdeutschland im kommenden Jahr. Auf Bundesebene kratzt die Partei an der 5-Prozent-Hürde, einige Umfrageinstitute sehen sie auch darunter. Befindet sich die Partei in der Agonie? Diese Frage bleibt unbeantwortet, vorläufig zumindest.