Aus: Frankfurter Rundschau, 04. Dezember 2023
Quelle: Frankfurter Rundschau am 04.12.2023
Bei einem Kongress am Wochenende in Frankfurt versucht sich ein Teil der Linken neu zu ordnen – und auch irgendwie neu zu erfinden. Eine Analyse.
Von Baha Kirlidokme
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) polarisiert. Sind seine Anhänger:innen allesamt reaktionäre Verschwörungsgläubige, wie das unterschiedliche Stimmen von linksliberal bis rechtskonservativ ihnen vorwerfen? Oder sind sie vielleicht doch eher die letzten aufrichtigen Linken in Deutschland, die noch humanistische Werte vertreten?
In Frankfurt konnte man am vergangenen Wochenende einen Eindruck von den zukünftigen Mitgliedern erhalten. Auf dem zweiten „Was tun?!“-Kongress im Gewerkschaftshaus fanden sich mehr als 200 Gäste ein, um über die Zukunft des BSW zu diskutieren. Dabei waren auch die Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst und Andrej Hunko, beide vor einem Monat von der Linkspartei zum BSW gewechselt.
Das „Was tun?!“-Netzwerk, bestehend aus verschiedenen Gruppen der Linkspartei, setzt sich zusammen aus linken Mitgliedern – und auch Nichtmitgliedern, die vor allem den außenpolitischen Kurs der Partei als zu kompromissbereit bezeichnen. Man kann das plakativ formulieren als: Linke in der Linken gegen die Linke. Der Name ist wohl eine Anlehnung an das gleichnamige Lenin-Werk. Zu den Organisierten gehören auch Mitglieder des Brandenburger Karl-Liebknecht-Kreises, unter denen vor kurzem erst rund die Hälfte aus der Linkspartei ausgetreten ist, oder auch Mitglieder der weitgehend vergessenen kurzlebigen Wagenknecht-Bewegung „Aufstehen“.
Zwar wollen viele Mitglieder, dass „Was tun?!“ als Brücke zwischen BSW und Linkspartei fungiert. Auf dem Kongress allerdings wirkte es so, als hätte eine Mehrheit längst ihre neue politische Heimat bei Wagenknecht & Co. gefunden. Was alle jedoch gemein haben: Sie sind geeint im Ärger über die Linkspartei.
Die Analysen vieler linker Kritikerinnen und Kritiker der Linkspartei, die auf dem Kongress stattfinden, sind oft durchaus treffend. Das sieht man unter anderem an Erklärungsansätzen zur Verfassung der Linkspartei, die durch den Versuch, sich der Mitte zu nähern, in der Bedeutungslosigkeit verschwindet – zumindest ist das der Konsens unter den Anwesenden. Vor allem die Entwicklung von einer sozialistischen Sammelbewegung hin zu einer Partei, die grüne, wirtschaftsliberale und identitätspolitische Themen propagiere, wird hier voller Enttäuschung beobachtet.
Der einstige WASG-Chef Klaus Ernst, der just auf dem Weg zum BSG sich aus der Bundestagsfraktion der Linken verabschiedet hat und dessen frühere Äußerungen zu Putins Russland vielen als verharmlosend gelten, trägt auf dem Podium ebenfalls differenzierte Gedanken vor. Die Frage nach dem Umgang mit der AfD und deren Wähler:innen treibt das BSW besonders um. Was Wunder: In dem Augenblick, als Wagenknecht mit dem Kürzel BSW rumkam, gab es in den Medien bereits die ersten Mutmaßungen darüber, wie viele Prozente sie der Höcke-Partei würde streitig machen können.
Ernst merkt an, dass die AfD schon „in Teilen faschistoid“ sei. „Viele, die AfD wählen, tun das aber nicht, weil sie vom Kern rechtsradikal sind“, fügt er an. Er bemängelt, dass die Linkspartei klassische linke Themen – wortwörtlich – rechts liegen lässt und die AfD diese aufnimmt. Für ihn und viele andere sind das eine fehlende Aufarbeitung der Corona-Regelungen oder auch der Krieg in der Ukraine. Besonders die Debatte bemängelt er. „Einige stört es, dass ’45 der Faschismus verloren hat“, wirft Ernst denen vor, die eine militärische Lösung als einzigen Weg sehen. Das ist dann auch einer der Ausreißer seiner sonst eher nüchtern vorgetragenen Überlegungen.
Andrej Hunko meint denn auch eine „Cancel Culture“ auszumachen, die im Diskurs um Kriege um sich greife. Das BSW würde dagegen einen Kampf für die Meinungsfreiheit führen. Auch das ist eine Überspitzung, die bei einem durchaus realen gesellschaftlichen Dissens ihren Ausgangspunkt nimmt: Krieg und Frieden, Krieg oder Frieden, Krieg mit allen Mitteln, Frieden um jeden Preis? Es darf an dieser Stelle vielleicht angemerkt werden, dass beispielsweise die FR aus dieser Schwierigkeit heraus ihre Serie „Friedensfragen“ gestartet hat.
Eine falsche Schlussfolgerung aus einer richtigen Analyse geschieht dann auch, wenn auf der Konferenz kritisiert wird, dass die Linkspartei inzwischen ein grünes urbanes und linksliberales Publikum anspreche, die Schlussfolgerung dann aber das ausnahmslose Ablehnen von Identitätspolitik ist, statt diese von links zu besetzen und mit weiterhin durchaus gültiger Klassenpolitik zu verbinden.
Ob das BSW die sozialistische Leerstelle im Parteienspektrum füllen kann, ist in diesen Tagen noch völlig unklar. Ihre Anhänger:innen versuchen sich als breite Bewegung für die Masse aufzustellen. Wagenknecht, früher bekannt für ihren klaren antikapitalistischen Kurs, ließ bei der Vorstellung des Bündnisses auf der Bundespressekonferenz vergangenen Monat wirtschaftspolitische Klänge anklingen, die wohl dem Mittelstand imponieren sollen. An ihrer Seite: Millionär Ralph Suikat, nun Schatzmeister ihres Bündnisses.
Man möchte vom Augenblick der Parteigründung im Januar an dann einen „kontrollierten Prozess“ bei den Eintritten vornehmen. So gesteht Klaus Ernst ein, dass die Positionen, die die zukünftige Partei vertreten wird, wohl auch Menschen anziehen kann, denen er „nachts lieber nicht begegnen will“. Dem soll vorgebeugt werden. Ob das durch eine Art „Gesinnungsprüfung“ – wie jemand im Publikum unkt – geschehen wird, oder wie genau dieser kontrollierte Prozess aussehen soll, bleibt offen.
Für manche ist sicherlich Diether Dehm so eine unliebsame Person. Zwar war er nicht offiziell Redner, nutzte aber seine Anwesenheit im offenen Plenum, um – wie so oft – berechtigte Kritik in fragwürdige Aussagen zu verkleiden. Da wird Medienkritik dann auch schnell zur Verschwörungsfantasie, wenn er sagt: „Wir kommen nur weiter, wenn taz, Spiegel und damit der Bundesnachrichtendienst jede Herrschaft über unsere Herzen und Hirne verliert.“ Dafür gibt es ordentlich Applaus. Mit Kopfschütteln begleitet wird allerdings sein Vorschlag einer ideologischen „Querfront“: „Glaubt denn jemand, man kommt als Jungfrau mit sauberen Händen an die Wähler der AfD?“, ruft er ins Mikrofon.
Welchen Kurs die zukünftige Partei einschlagen wird, ist abhängig von dem Ringen der Positionen ihrer zukünftigen Mitglieder. Nicht alle stehen hinter dem reaktionären Migrations- und Fluchtkurs von Wagenknecht. Gibt es Anwesende, die sich laut und unter Applaus über Migration und ihre vermeintlichen Folgen echauffieren, gibt es auch die, die humanistische Töne anklingen lassen. Natürlich gibt es in den Kommunen Probleme. Mehrere Redner:innen stellen aber fest, dass es besser ist, Fluchtursachen zu bekämpfen statt Fluchteffekte. Auch dafür gibt es ein bisschen Applaus, wenigstens aber keine Einwände.
Es gibt aber durchaus auch Skepsis an dem BSW. Die einzige junge Rednerin, Naisan Raji, im Vorstand der Marx-Engels-Stiftung, erklärt nüchtern, dass sie es allen Problemen und Fehlentwicklungen bei der Linkspartei zum Trotz wichtig findet, weiterhin dort organisiertes Mitglied zu bleiben. Das kommt bei einigen in dem vor allem älteren Publikum nicht gut an.
Die „Was tun?!“-Konferenz zeigt, was auf das BSW zukommt. Die zukünftige Partei hat das Potenzial, eine echte linke Alternative zu den etablierten Parteien zu sein, die mit den aktuellen Krisen überfordert scheinen. Sie hat aber auch das Potenzial, Anlaufstelle für Menschen zu sein, denen die AfD einen Tick zu rechts ist. Das birgt Gefahren. Nun bleibt es abzuwarten, wie der noch nicht konkretisierte kontrollierte Prozess der Eintritte aussehen wird und ob logistische oder inhaltliche Kursänderungen erfolgen werden.