Aus: Junge Welt, Ausgabe vom 04.12.2023, Seite 4 / Inland
Quelle: Junge Welt vom 04.12.2023
Hessen: Zweiter »Was tun?!« -Kongress zu Antimilitarismus und sozialer Gerechtigkeit. Kritik an Linkspartei, BSW-Mitglieder vertreten
Von Martin Dolzer
Am Sonnabend hat im Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main der zweite Kongress des Netzwerks »Was tun?!« stattgefunden, das der Linkspartei nahesteht. Rund 250 Teilnehmer kamen zu der Veranstaltung unter dem Motto »Aktiv gegen Kriege und Sozialabbau«. Bereits im Mai hatten sich Mitglieder des Netzwerks getroffen, um die Rolle der Linkspartei in Zeiten des Krieges zu diskutieren.
Zum zweiten Kongress hatten unter anderem »Was tun?!« -Gruppen und Karl-Liebknecht-Kreise aus zahlreichen Bundesländern, verschiedene Landesarbeitsgemeinschaften der Partei und die Strömung »Sozialistische Linke« geladen. In Diskussionen wurde vielfach kritisiert, dass sich die Linkspartei immer weiter davon entfernt habe, eine Kraft an der Seite von Bewegungen sein. Sie verdränge Klassenpolitik durch Identitätspolitik, habe Positionen für Frieden und Sozialismus aus dem Erfurter Grundsatzprogramm aufgegeben und sich von der Mehrheit der Bevölkerung entfremdet. Zuletzt habe der Europaparteitag gezeigt, dass sie zur Kriegspartei geworden sei.
ATTAC-Mitbegründer Peter Wahl skizzierte den Umbruch der geopolitischen Kräfteverhältnisse samt Organisationsprozessen der Länder des globalen Südens und der BRICS-Staaten. Die Bundesregierung arbeite im Rahmen der aggressiven NATO-Politik mit eigenem Machtanspruch mit vereinfachtem Schwarzweißdenken und Feindbildern, um den Kampf für die US-dominierte westliche Hegemonie, Kriege, eine zunehmend autoritäre Politik und drastischsten Sozialabbau zu rechtfertigen. Die Arbeit von »Was tun?!« und der Aufbau des »Bündnisses Sahra Wagenknecht« (BSW) seien richtige Schritte, um »in dieser historischen Situation dem Verfall linker Kultur und Politik etwas entgegenzusetzen«. Der Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst (BSW, ehemals Linkspartei) betonte, dass es wichtig sei, Menschen eine humanistische Perspektive aufzuzeigen, die aus Protest gegen das Versagen sämtlicher Parteien und nicht aus rechten Überzeugungen die AfD wählen würden.
Für das BSW erklärte der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (ehemals Linkspartei): »Wir befinden uns in einer ernsten sozialen Krise mit einer sich zunehmend radikalisierenden militaristischen Politik, in der die Herrschenden versuchen, jeden Andersdenkenden gesellschaftlich zu vernichten.« Das BSW und die daraus entstehende Partei stünden nach dem Versagen der Linken für die Wiederaneignung gesellschaftlich relevanter Oppositionsthemen, Frieden, eine gerechte Sozialpolitik und gegen die Verengung des Meinungshorizonts.
Naisan Raji von der Landesarbeitsgemeinschaft »Linksrum« in Hessen analysierte den Niedergang der Linkspartei, den sie unter anderem darauf zurückführte, dass hauptsächlich die Interessen einer privilegierten urbanen Akademikerschicht vertreten würden, die mehrheitlich den Parteiapparat und die Funktionäre stelle. Ob eine Öffnung des BSW für eine sozialistische Orientierung gewollt sei, müsse sich allerdings noch herausstellen. Daher sei für momentan heimatlose Kommunisten und Sozialisten neben der Unterstützung des BSW »eine Möglichkeit, bis auf weiteres« in der Linkspartei »für antikapitalistische Positionen zu kämpfen«, so eine Teilnehmerin dazu.
Viele Kongressteilnehmer sind in den letzten Wochen aus der Linken ausgetreten und warten auf die Parteigründung des BSW und Möglichkeiten der Mitgestaltung, an denen es bisher mangele. »Heute wurde deutlich, dass sich ›Was tun?! ‹ zu einem stabilen und lebendigen sozialistischen Zusammenhang mit Anbindung an Bewegungen in allen Bundesländern entwickelt hat«, so Mitorganisator Andreas Grünwald am Sonnabend gegenüber junge Welt.
In einer Abschlusserklärung definiert sich »Was tun?!« als Teil der Friedensbewegung. Mit der Bildung des BSW gerate die politische Landschaft in Bewegung, das schwäche die AfD und die weiteren militaristischen Parteien. Kathrin Otte aus dem »Was tun?!« -Koordinierungskreis zeigte sich zufrieden mit der Tagung, da »sowohl politisch als auch praktisch Handlungsorientierungen vereinbart wurden«.