Aus: Spiegel, 04. Dezember 2023
Quelle: Spiegel – Bericht am 04.12.2023
Kongress mit Linken und Ex-Linken
Hunderte Mitglieder sind seit Oktober aus der Partei Die Linke ausgetreten. Hoffnung setzen sie in Sahra Wagenknecht und ihre neue Partei. Aber bereits der Gründungsprozess stößt auf Kritik.
Von Sarah Vojta
Die blonde Dame mit der Steppweste wirkt enttäuscht. Es gebe zu wenig Transparenz beim »Bündnis Sahra Wagenknecht«, zu viel »Geheimniskrämerei«, eine »Gerüchteküche sondergleichen«. Nicht mal ein Grußwort habe Wagenknecht hier auf dem Kongress gehalten.
Im Gewerkschaftshaus von Frankfurt am Main sitzen am Samstag rund zweihundert Menschen. Die meisten von ihnen sind schon älter. Viele waren zwei, drei Jahrzehnte lang Mitglieder der Partei Die Linke. Ein Großteil von ihnen ist es nicht mehr. Wie linke Politik künftig aussehen soll, möchten sie trotzdem mitbestimmen.
Vor ihnen auf der Bühne hängt ein Plakat, auf dem in großen roten Lettern »Was tun?!« steht. Das gleichnamige Netzwerk hat den Kongress organisiert. Es sieht sich als Brücke zwischen der Linken, der sogenannten Friedensbewegung und der künftigen neuen Partei um Sahra Wagenknecht. Vor allem um letztere soll es auch an diesem Samstag gehen. Dabei scheint auch im Konferenzraum nicht viel mehr bekannt, als ohnehin schon öffentlich ist. Eine der Moderatorinnen spricht von »relativ wenig Informationsplus«, weil die Truppe um Wagenknecht aktuell alle Hände voll zu tun habe.
Jemand poltert aus dem Publikum: »Relativ wenig ist noch geschmeichelt.« Wagenknechts Projekt ist kaum richtig gestartet, schon gibt es Unzufriedenheit.
Ende Oktober verließ Sahra Wagenknecht mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten die Linke und erklärte, dass sie eine eigene Partei gründen wolle. Vorbereitend wurde in ihrem Umfeld bereits der Verein »Bündnis Sahra Wagenknecht« gegründet, kurz BSW. Nächsten Donnerstag wird sich die Linksfraktion im Bundestag offiziell auflösen, am 27. Januar soll der Gründungsparteitag von Wagenknecht stattfinden.
Die Europawahl soll zur Bewährungsprobe werden
»Wie es dann weitergehen soll?« – Andrej Hunko gerät kurz ins Straucheln, über diese Frage, die er sich selbst gestellt hat. Er ist einer der neun Bundestagsabgeordneten und in Frankfurt kurzfristig für die verhinderte Wagenknecht-Verbündete Sevim Dağdelen eingesprungen. »Dann kommt die Sammlung der Unterschriften für die Europawahl«, sagt er schließlich. Denn die Europawahl im Juni wird entscheidend für Wagenknechts Projekt. Dann wird sich erstmals zeigen, ob die Partei bei einer bundesweiten Wahl tatsächlich so viele Stimmen holen kann, wie es manche Umfrage vermuten ließ.
Bis dahin muss ein Programm ausgearbeitet werden. »Das wird sich schon unterscheiden vom Programm der Linken«, sagt Hunko. »Es wird kritischer sein.« Hunko findet, Europa sei ein Anhängsel der USA – das müsse sich ändern. Er spricht von einer »gesellschaftlichen Vernichtung« von Menschen, die sich bei Themen wie Corona, dem Krieg in der Ukraine und der Eskalation in Nahost der »Propaganda« entgegenstellten. Aber wie das Wagenknecht-Programm konkret aussehen soll? Hunko bleibt vage.
Der Abgeordnete galt selbst innerhalb der Linken als außenpolitischer Hardliner, der 2021 im Bundestag sogar gegen die Bundeswehr-Evakuierungsoperation aus Afghanistan stimmte.
Neben ihm ist auch Klaus Ernst da. Der Bundestagsabgeordnete spricht über den Meinungskorridor, der immer enger werde. Darüber, dass deshalb immer mehr Menschen als rechts oder links abgestempelt würden. Ernst hatte zuletzt innerhalb der Linken für Ärger gesorgt: Weil er am 9. Mai dieses Jahres neben dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder sowie Tino Chrupalla und Alexander Gauland von der AfD an einer Feier in der russischen Botschaft in Berlin teilgenommen hatte. Mit dem Wagenknecht-Projekt wolle man das herkömmliche Parteienspektrum aufbrechen, kündigt Ernst nun an.
Dann muss er schnell weiter nach Schweinfurt, wo er lange als Gewerkschafter tätig war. Dort wolle noch am Nachmittag die »gesamte Führungsriege der örtlichen Linken« ihren Austritt öffentlich machen, erklärt er.
Die Zukunft der Linken? Interessiert hier nur wenige
Seit der Verkündung von Wagenknecht wurden laut »FAZ« Stand vergangene Woche 538 Austritte gezählt. Bei dem Kongress in Frankfurt, so zumindest schätzt eine der Organisatorinnen, gehörte die Mehrzahl der Anwesenden nicht mehr der Linken an.
Dementsprechend interessiert sich am Nachmittag nur ein kleiner Teil der Anwesenden für ein Forum, das sich mit der Zukunft der Linken auseinandersetzt. Die meisten wollen lieber über Wagenknechts neue Partei sprechen. Als es um Wünsche und Erwartungen geht, entsteht eine lange Schlange vor dem Mikrofonständer. Drei Minuten Redezeit für jeden, der möchte.
Viele fordern eine sozialistische Politik. Man müsse wieder die Arbeiterschicht ansprechen, zu der die Linke den Bezug verloren habe. Auch wenn noch viel unklar ist, setzen sie hier große Hoffnungen in Wagenknecht.
Ein Noch-Mitglied der Linken aus Mannheim sagt: »Die Linke ist gescheitert.« Er bietet sich dem BSW für die Aufbauarbeit der neuen Partei an.
Der Ex-Abgeordnete und Ex-Musikproduzent Diether Dehm, der regelmäßig Verschwörungserzählungen verbreitet, findet: Das Ziel müsse sein, die AfD zu halbieren. Er fragt: »Ja glaubt denn einer, man kommt mit sauberen Händen an die AfD-Wähler? Da macht man sich schmutzig.« Was das genau bedeute, erklärt er nicht, nur so viel: Die Ausgrenzung müsse ein Ende haben.
Eine Frau tritt an das Mikrofon. Sie war bereits bei den beiden »Friedensdemonstrationen« im Februar und November dieses Jahres, die Wagenknecht mitorganisiert hatte, dabei. Die Frau kündigt an, der neuen Partei beitreten zu wollen. Sie sagt: »Was mir hier fehlte und eigentlich auch auf den beiden Demonstrationen in Berlin, das sind die jungen Leute.« Man müsse darauf achten, auch sie anzusprechen. »Die kommen von einem anderen Planeten.«
Der Gründungsprozess erfolgt »top-down«
Der Abgeordnete Hunko muss sich an diesem Tag auch immer wieder für »Bündnis Sahra Wagenknecht« erklären. Viele sind nicht zufrieden mit den Abläufen, kritisieren die mangelnde Transparenz.
Der Gründungsprozess erfolge eben »top-down«, erklärt Hunko mehrmals. Einige wenige würden die Partei und die Strukturen aufbauen. Man wolle nicht zu schnell wachsen, sich genau anschauen, wer eintrete. Sonst sei die Gefahr zu groß, dass auch Menschen in die Partei kämen, die man eigentlich nicht haben wolle.
»Wir wissen ja, wenn wir in der Geburtsphase sind und in den Wehen stecken, das dauert in der Regel immer recht lange«, sagt eine der Moderatorinnen abschließend. »Wir brauchen wirklich noch ein bisschen Geduld.«