Input „Was tun?!“ für die Konferenz am 2.12.2023 in Frankfurt am Main /
Referat Andreas Grünwald / Was-tun-Koordinierungskreis
Liebe Genossinnen und Genossen,
unsere Konferenz findet 2 Wochen nach dem Parteitag der LINKEN, eine Woche nach der großen Friedensdemonstration in Berlin statt.
Die Demo in Berlin war ermutigend. Zehntausende gingen für den Frieden, für einen sofortigen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg, genauso wie im Nahen Osten, auf die Straße. Willi van Ooyen ist darauf in seiner Begrüßungsansprache schon eingegangen. Ich will zur Einschätzung nur noch hinzufügen, was Reiner Braun und Kathrin Otte in einer persönlichen Bemerkung dazu hervorhoben:
„Die Friedensbewegung hat noch kein Revival erlebt, aber eine deutliche Stärkung und Wiederbelebung. Die Stimmung der Demonstration lässt hoffnungsvoll erahnen, dass sie sich von nun an in den lokalen und regionalen Aktivitäten in der ganzen Republik fortsetzen wird.“ Und: „Die Kundgebung von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht am 25.02.2023 war ein zentraler Höhepunkt friedenspolitischer Aktionen. Die Demonstration und die Kundgebungen am 25.11. waren eine eigenständige Aktion einer wachsenden Friedensbewegung.“
Ich bedanke mich bei allen Aktiven unseres Netzwerkes, die dazu beigetragen haben!
Weniger erfreulich war der Parteitag der Linken in Augsburg. Alle Anträge mit denen friedenspolitische Positionen für das EU-Wahlprogramm präzisiert werden sollten, die sich gegen die katastrophale Sanktionspolitik wendeten, wurden abgeschmettert. Im Gegenteil: die Unterstützung imperialistischer Sanktionspolitik wurde sogar noch verschärft. Beschlossen wurde ein EU-Wahlprogramm, das diese EU nicht ein einziges Mal als das kennzeichnet, was sie ist: ein undemokratisches imperialistisches Projekt nach innen und außen. Die Linke will „sozialistisch“ sein, aber im Programm kommt das nicht mehr vor.
Dass friedenspolitische Positionen, wie sie sich aus dem Erfurter Programm ableiten, weiter verwässert wurden, darüber konnte auch eine Kompromissformulierung zum Krieg im Nahen Osten nicht hinwegtäuschen, wenn zeitgleich der ehemalige Berliner Senator Klaus Lederer in einem Redebeitrag, der an Einseitigkeit kaum zu überbieten war, genau das wieder relativierte. Ich will mich daher bei unserem Genossen Nick Papak Amoozegar bedanken, der dort auf das unermessliche Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser hinwies, der ein Ende des Bombenterrors forderte, aber dafür auch noch ausgebuht wurde.
Es gibt innerhalb der LINKEN weiterhin oppositionelles Potential. Das wurde in solchen Redebeiträgen deutlich. Auch in den Wahlergebnissen zur EU-Kandidatenliste und bei denen Carola Rackete, und deren Team sich im Vorfeld des Parteitages ja noch für eine weitere Verwässerung friedenspolitischer Positionen ausgesprochen hatte, immerhin 72 Nein-Stimmen und 26 Enthaltungen auf sich vereinigen konnte.
Trotzdem müssen wir einschätzen, dass diese Partei für eine antimilitaristische, antiimperialistische und an den gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse orientierten Politik verloren gegangen ist. Der Europaparteitag hat den Kurs in Richtung einer grün-linksliberalen Bürgerrechtspartei, die nach und nach auch die NATO-Narrative übernimmt, zementiert. Eine Vertretung gemeinsamer sozialer Klasseninteressen der Erwerbstätigen, der Erwerbslosen und Rentner, ist ebenfalls kaum noch erkennbar. Im Außenbild und in der Tagespolitik dominieren identitätspolitische Positionen, die ohne innere Verbindung zueinander, dazu beitragen die Arbeiterklasse zu spalten. Dass viele jede Hoffnung inzwischen aufgegeben haben, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass zwischen 15 und 20 Prozent der gewählten Delegierten an diesen Parteitag gar nicht mehr teilnahmen.
Mir scheint: diese „disruptive Neugründung“, wie sie als Schlagwort aus der RLS kam, diese Neugründung einer neuen Partei, mit anderen Inhalten, anderen Zielen, aber im alten Gewand, und daher dieses missbrauchend, ist nicht mehr korrigierbar. Mitglieder in fünfstelliger Größenordnung sind allein seit den Bundestagswahlen ausgetreten. Alle Vermittlungsversuche gemeinsame Grundlagen wieder herzustellen, wurden zurückgewiesen oder ausgesessen. Eine Ähnlichkeit der Entwicklung mit jener bei den Grünen Ende der 1980er Jahre und zugespitzt 1998 beim NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, ist unverkennbar. Und darüber können auch radikal klingende Phrasen aus der Bewegungslinken, für einen „Sozialismus“, der aber inhaltlich keiner sein will, nicht hinwegtäuschen.
Es ist hier nicht der Raum, die Gründe für diese Entwicklung aufzuarbeiten. Unsere sächsischen Genossinnen und Genossen haben wiederholt auf die Eigeninteressen des Parteiapparates und die Herausbildung entsprechender Ideologien hingewiesen. Vielleicht war auch schon die „plurale Konzeption“ 1990 und dann bei der Fusion mit der WASG nicht frei von Fehlern, wenngleich jeweils ein konkretes alternativloses Ergebnis der Geschichte. Heute sind sozialistische Positionen in der LINKEN aber vollständig an den Rand gedrückt.
Lange Zeit wurde von uns betont, dies sei ein Problem der Führung. Das schloss eine Möglichkeit der Umkehr noch in sich ein. Heute können wir das nicht mehr sagen. Gezielt wurden nicht nur ganze Wähler-, sondern auch bestimmte Aktivisten- und Funktionärsschichten in die Partei geholt und gegen bisherige Mitgliederschichten ausgetauscht, die zu tausenden herausgedrängt wurden. Wer heute andere für die „Spaltung“ anklagt, der sollte sich eingestehen, dass sich genau damit diese Spaltung vollzog.
Parteien sind in solchen Umbruchprozessen immer ein widersprüchliches Phänomen. Da gibt es beispielsweise die kommunalpolitische Praxis von hunderten Mandatsträgern, die in Kreistagen, Gemeindevertretungen aktiv sind. Viele von ihnen sagen sich: ich bin zwar mit dem neuen Kurs nicht einverstanden, aber warum soll ich das aufgeben? Parteien sind eine soziale Gemeinschaft, die man nicht so einfach verlassen möchte. Dazu kommt, dass sich Neues ja auch erst mal ausprägen muss, dass sich dort politische Positionen justieren müssen.
Neuformierungen sind deshalb niemals etwas, was sich von heute auf morgen vollzieht. Ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse gleichzusetzen: 1914 ff. dauerten solche Prozesse 9 Jahre.
Genossinnen und Genossen,
bei allem Schmerz über das Verlorene –, müssen für uns die gesellschaftspolitischen Fragen im Mittelpunkt stehen. Die Gefahr großer Kriege wächst. Der Kapitalismus, das parlamentarische System, befinden sich nicht nur in einer ökonomischen, sondern auch in einer politischen Legitimationskrise. Die AfD gewinnt immer mehr Einfluss. Es gibt einen zunehmenden Klassenkampf von oben, der, verstärkt durch die Wirkungen der Sanktionspolitik, neue Angriffe auf die Löhne, die Arbeitszeiten, sozialstaatliche Errungenschaften enthält. Die grüne Modernisierung befördert dies, während sie in klimapolitischen Fragen vollständig versagt.
Ich denke: man kann über die Art und Weise der Bildung des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“, also ob es richtig war und ist, dieses nur in kleineren Zirkeln voranzubringen, ob dies politisch klug bzw. optimal gewesen ist, streiten. Aber die Notwendigkeit für eine neue wahlpolitische Kraft kann gesellschaftspolitisch nicht bestritten werden. Wir benötigen eine Kraft, die Friedenspositionen in der Gesellschaft stärkt. Eine Kraft, die unsere sozialen Interessen in den Mittelpunkt rückt, denn nur so können auch Umweltschutz, Demokratie und Menschenrechte verteidigt und durchgesetzt werden.
Viele von uns werden deshalb in dieser Partei mitwirken oder auch lokale Unterstützerinitiativen für den Wahlkampf bilden, in denen sie ihre Wahlempfehlungen politisch begründen werden. Um mittelfristig erfolgreich zu bleiben, wird es aber darauf ankommen sich auch mit den real stattfindenden außerparlamentarischen Kämpfen zu verbinden. Die Aktiven in den „Was-tun“-Zusammenhängen verstehen sich als Sozialistinnen und Sozialisten. Wir versuchen solche Standpunkte auch in die neue Partei einzubringen.
Andere von uns werden weiterhin in der Partei Die Linke für Friedenspositionen, sozialistische Ziele und gegen die Verengung linker Politik auf kleine urbane Milieus kämpfen. Sie verteidigen dort das Erfurter Programm. Sie nutzen verbleibende Einflussmöglichkeiten, wenngleich die anhaltenden Bestrebungen Kritiker aus der Partei zu drängen, sowie das auf dem Parteitag beschlossene Europa-Wahlprogramm, daran zweifeln lassen.
An unserer heutigen Konferenz nehmen nicht ganz so viele Personen wie beim ersten Kongress in Hannover teil. Das ist nicht verwunderlich, angesichts der Terminfülle der letzten Wochenenden. Aber der Saal ist mit mehreren Hundert Anwesenden bis auf den letzten Platz gefüllt. Das freut mich. Mit unserem „Was tun?!“ Netzwerk und unseren lokalen Zusammenhängen in allen Bundesländern bilden wir inzwischen eine starke sozialistische Strömung mit rund 700 bis 800 Aktiven. Und da ist die Sozialistische Linke, also die vordem einst stärkste politische Strömung innerhalb der LINKEN, noch gar nicht eingerechnet. Und wir wachsen kontinuierlich.
Wir verstehen uns als ein kommunikativer Ort, um eine politische Brücke zwischen unseren sozialistischen Vorstellungen, dem Erfurter Programm und den neuen organisationspolitischen Herausforderungen argumentativ und in diesem Prozess der Veränderungen herzustellen. Wir erheben keinen Führungsanspruch. Wir bringen uns konstruktiv ein. Dass es organisierte Kräfte gibt, die ihren Bezug zur politischen Arbeiterbewegung und zum Marxismus aufrechterhalten, die auf dieser Grundlage analysieren und handeln, bleibt aber notwendig. Denn das ist auch ein Blick in die Zukunft. Es ist unser Beitrag für eine Wiederbelebung politischer Klassenkämpfe in Deutschland.
Wir laden alle, die das für notwendig halten, dazu ein, sich daran zu beteiligen.