Input von Andreas Grünwald (‚Was tun?!‘ Netzwerk) im Schlussplenum der Sommerakademie 2024. Gemeinsame Debatte mit Christian Leye (Generalsekretär BSW) und Regina Preysing (Sprecherrat Sozialistische Linke)
Liebe Genossinnen und Genossen,
Die Frage, war lange: Warum hat sich die Partei Die Linke ausgerechnet in einer Situation, in der sich die Krisen des Kapitalismus zuspitzen, zunehmend den herrschenden Narrativen untergeordnet? So sehr, dass sie nun selbst in einer Existenzkrise steckt? Marx und Engels sehnten sich solche Krisen nicht herbei, aber sie sahen in ihnen dann auch eine Chance politische Klassenkämpfe mit einer sozialistischen Perspektive zu verbinden.
Dazu ein paar Thesen.
Erstens: Die größere / die ältere der beiden Quellorganisationen entstand 1989 / 1990. Also im Moment der großen Niederlage, des Zusammenbruchs. Damit in einer Situation, in der sich sozialistische Politik und Perspektiven in einer tiefen Orientierungskrise befanden. Eine Antwort darauf bestand (auch aus wahlpolitischen Gründen) im „Pluralismus“. Kautsky, Luxemburg, Liebknecht, Lenin, Trotzki, Lassalle und Bernstein, dann auch noch Bodo Ramelow – das alles unter einem Dach. So etwas funktioniert aber nur unter besonderen Bedingungen. Dann nicht mehr, wenn sich mit der Veränderung im globalen Machtgefüge von einem unipolaren, zuvor bipolaren System in Richtung eines multipolaren Systems nunmehr grundlegend neue Herausforderungen stellen.
Zweitens: Solche strategischen Unklarheiten in grundsätzlichen Fragen haben sich nach dem Fusionsprozess mit der WASG keineswegs reduziert, eher noch ausgeweitet. Trotzdem waren beide Parteien in ihrer Zeit notwendig und nützlich. Die PDS im Widerspruch zur Treuhandpolitik und der Abwicklung der DDR. In der Vertretung ostdeutscher Interessen. Die Linke im Widerspruch gegen die Agenda-Politik und im Widerstand gegen einen neuen Schub neoliberaler Deregulierung. Darauf basierten Wahlerfolge. Letzteres, die Wende und die Differenzierungen in der Sozialdemokratie, dieser qualitativ neue Sprung in der Entfaltung neoliberaler Politik, bot dann auch den gesellschaftlichen Rahmen für die Erarbeitung des Erfurter Programms. Eine gewaltige intellektuelle und kollektive Meisterleistung, mit der es gelang die Partei nach links auszurichten. Aber welche Rolle spielte dieses Programm dann in der Realpolitik der Fraktionen und der Parteiführungen?
Drittens: In den letzten 30 Jahren sind immer mehr Lebensbereiche Opfer neoliberaler Politik geworden. Im politischen Widerstand dazu konnte Die LINKE Wahlerfolge feiern. Sie hatte eine enorme Anziehungskraft. Doch trotz dieser Anziehungskraft, gelang es der Partei kaum Deregulierung zurückzudrängen. Auch organisatorisch blieb sie klein. Sie konnte den Millionen, die in sie Hoffnungen legten, somit weder ein (kulturelles) Zuhause, noch eine ökonomische Stabilität im Geldbeutel liefern.
Viertens: haben sich in dieser Zeit auch neue Fraktionen in der arbeitenden Bevölkerung herausgebildet. Zusätzlich zum Industrieproletariat, den proletarisierten Beschäftigten in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsbereich, insbesondere eine neue Fraktion gut qualifizierter Akademiker, die soziale Belastungen individuell zu umgehen sucht. Zum Beispiel in der Frage der Arbeitszeiten. Sie streben nach Beschäftigungen, in denen sich das Ausmaß entfremdeter Arbeit in Grenzen hält.
Fünftens: vor allem diese Gruppe der Lohnabhängigen spiegelt sich stark im hauptamtlichen Apparat – und der ja in Relation zur Gesamtgröße der Partei, größer ist als irgendwo anders. Darauf, dass ein solcher Apparat immer eigene Interessen, dafür auch eigene Ideologien herausbildet, hat schon Wolfgang Abendroth in den 1960er Jahren hingewiesen. Zumal dann, wenn marxistische und sozialistische Bildungsarbeit weitgehend fehlt.
Das alles und vieles weitere hat dazu beigetragen, dass sich die Linke nach und nach in eine linksliberale Formation verwandelte. Parallel mit dem Austausch von Wählerschichten ergab sich – über die Jahre betrachtet – ein Austausch von Mitgliedern in einer Größenordnung von einigen Zehntausend Mitgliedern. Damit veränderte sich auch die sozialen Zusammensetzung der Partei. Partikulare Interessen kleinerer sozialer Schichten in der Arbeiterklasse rückten immer stärker in den Vordergrund, während im politischen Profil gemeinsame Klasseninteressen in den Hintergrund rückten. Die aktuelle Krise der LINKEN hat also nicht nur mit aktuellen Debatten und Meinungsverschiedenheiten zu tun, sondern sie hat auch tiefere strukturelle Ursachen, die nicht so leicht zu beheben sind.
Sechstens: In dem Die Linke überall in Regierungen strebte, ohne dort substanzielle Verbesserungen durchzusetzen, ohne klare Erfolgskriterien, wurde sie zugleich zu einem Teil dessen, was Politologen die „Repräsentationslücke“ nennen. Also diesem Gefühl: du kannst wählen, wen du willst, wesentlich ändert sich nichts.
In Zeiten des Krieges dann eine weitgehende Übernahme herrschender Narrative der NATO. In der Ursachenanalyse, auch in der Bewertung der an den Kriegen beteiligten Kräfte. Damit zusammenhängend die Übernahme westlicher Ideologieschablonen und wonach es in diesen imperial motivierten Kriegen angeblich um eine Auseinandersetzung zwischen„Demokratie“ und „Autoritarismus“ gehe. Das war dann fast schon die Selbstaufgabe. Problematisch aber auch die Entwicklung in sozialpolitischen Fragen, man denke nur an die laufende Debatte zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“ (BGE), mit dem Klassenanalyse und Klassenkämpfe einem moralisierenden Gerechtigkeitsbegriff weichen, der die Arbeiterbewegung am Ende aber schwächen wird.
Die Gründung des BSW ist auch eine Reaktion auf diese Entwicklungen. Nicht nur. Es gibt auch gesellschaftliche Gründe.
Das BSW steht, ohne Wenn und Aber, für Friedenspolitik. Gleichzeitig artikuliert es – und ich verwende den nachfolgenden Begriff positiv – mit „linkspopulären“ Losungen soziale Bedürfnisse der erwerbstätigen Klassen, die über dort Trennendes, was es auch immer gibt, hinausgehen. „Verbindende Klassenpolitik“ wird hier tatsächlich real. Aber nicht einfach summarisch, sondern in einer hegemonialen eigenen Qualität. Das ist eine kluge Methode um in einer Situation, da das Vertrauen in die parlamentarischen Prozesse schwindet, einen politischen Raum zu schaffen, in dem Veränderungen gemeinsam gefordert werden, auch Grundlagen für Solidaritätsketten entstehen. Ein Raum, der aber auch nicht frei ist von unterschiedlichen Interessen.
Bei aller Unterschiedlichkeit, sehe ich Parallelen zum LfI in Frankreich, auch zu jener Dynamik, die sich in Griechenland ergab, als in der Auseinandersetzung mit der EU-Troika Syriza vor allem mit dem Begriff der „Würde“ mobilisierte.
Gleichzeitig wird sich mit der Mobilisierung von so vielen Menschen, aus unterschiedlichen Schichten (und Klassen), aber auch ein starker Erwartungsdruck ergeben, dass sich mit der Wahl des BSW, Erfolge schnell einstellen. Dieser Erwartungsdruck wird größer sein, als seinerzeit für Die Linke nach den Agenda-Gesetzen.
Es braucht im BSW, wie in den LINKEN, zudem die Einsicht, dass in Parlamenten zwar um politische Macht gerungen wird, aber die Herrschaft nicht zur Wahl steht. Wenn es etwa gegen den aktuellen Kriegskurs keinen wirklichen Aufstand auf der Straße gibt, dann werden wir einen Krieg nur über die Parlamente nicht verhindern können.
Ungelöst sind aus meiner Sicht für das BSW folgende Fragen:
a) Es gibt – abseits der Fernsehauftritte von SW – kaum Transmissionsriemen in die Gesellschaft. Solche Bezüge sind aber der Raum, in dem auch widersprüchliche Interessen, die zunächst durch populäre Losungen, die das Gemeinsame betonen, überdeckt sind, in einem Prozess des politischen Dialogs auszugleichen sind.
b) Die Entwicklung eines eigenen Programms, einer Strategie. Wie also und mit wem können denn reale Erfolge durchgesetzt werden? Meines Erachtens muss das, soll es nicht scheitern, schon aus objektiven Gründen in eine antimonopolistische Richtung gehen. Vor allem soziale Forderungen, die sehr weit gehen, lassen sich sonst real nicht durchsetzen.
Organisationspolitisch ergeben sich somit mehrere Achsen:
>>> für die Linke geht es um nicht weniger, als darum bereits mit ihrem nächsten Parteitag einen Kurswechsel um 180 Grad mindestens einzuleiten. In der Frage von Krieg und Frieden, auch im Umgang mit sozialpolitischen Fragen. Gelingt das nicht, besteht die Gefahr, dass sich die Partei nach und nach pulverisiert. Erst auf dieser Grundlage kann dann über weitere Strategien ernsthaft nachgedacht werden.
>>> für das BSW geht es mittelfristig darum „leere Signifikanten“, wie es der argentinische Sozialist Ernesto Laclau gesagt hätte, in ein stringentes Programm zu verwandeln, das in der Sache links sein muss, egal wie man das dann nennt. Dazu gehört mittelfristig ein adäquater Organisationsaufbau, der stabilere Massenverankerung und eine größere Teilnahme von mehr Menschen in die politischen Prozesse ermöglicht.
Entweder das gelingt oder es gelingt nicht. Gelingt weder das eine noch das andere, stellen sich organisationspolitisch noch andere Fragen.
Genau in diesem Zusammenhang sehe ich eine denkbare Bedeutung für die „Was tun?!“ Zusammenhänge, die inzwischen in 13 Bundesländern existieren. Denn wenn „Was tun?!“ einen Sinn haben soll, dann im Sinne dieser Sommerakademie. Also beständig inhaltliche Debatten anzustoßen. Zum Verhältnis zwischen Klima- und Sozialpolitik. Zu den Anforderungen an eine linke Wirtschafts- und Sozialpolitik usw. Ausgehend von einer marxistischen Basis, was aber nicht heißen darf nur auf der analytischen Ebene stecken zu bleiben. Da können wir nützlich sein. So wie auch mit Blick auf außerparlamentarische Aktivitäten. Ohne Allüren. Ohne Ansprüche gegenüber anderen, aber in einer kritisch-solidarischen Begleitung dessen, was passiert.