Vortrag von Ralf Krämer auf der Sommerakademie 2024 im Workshop „Wenn die Boomer in Rente gehen – wie weiter mit Finanzierung des Sozialstaats?
Hinweis: Im Workshop auf der Sommerakademie konnten aus zeitlichen Gründen nur Teile des Vortrags vorgetragen werden. Das bezieht sich insbesondere auf den hinteren Teil. Hier findest du indes den gesamten vorbereiteten Beitrag.
Hier kannst Du diesen auch als PDF-Datei herunterladen:
Wie weiter mit der Finanzierung des Sozialstaats – Ralf Krämer – PDF-Datei
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Es geht um den Druck und die zunehmenden Angriffe auf den Sozialstaat. Am Schluss ggf. noch mal auf aktuelle Finanzprobleme und die Problemlage der Hochrüstung eingehen, die das alles noch massiv verschärft. Zunächst grundsätzlich, Hauptpunkt die Alterung der Gesellschaft, geburtenstarke Jahrgänge in Rente in den kommenden 10 Jahren, weniger kommen nach, dadurch mehr Rentenempfänger, Gesundheit und Pflege, weniger Beitragzahler. Horrorszenarien der Neoliberalen und Kapitalvertreter, „Sozialstaat unbezahlbar“, Beitragsätze über 50, 60 Prozent, deshalb massive Leistungskürzungen und länger arbeiten und Privatisierung und Kapitaldeckung der Rente. Das alles weisen wir zurück und lehnen wir ab.
Es kann alles bewältigt werden, Veränderungen der Altersstruktur nichts Neues. Aber mehr muss für Sozialleistungen verwendet werden, aber das geht, ist kein Drama.
Staatsquote, v.a. Umverteilung über Sozialversicherungen …
Zurück zu den Militärausgaben im Zusammenhang der öffentlichen Ausgaben insgesamt. Betrachtet Staat und Sozialversicherungen zusammen, machen deren Ausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, dem BIP, die sog. „Staatsquote“ etwa 48% aus. 2% Militärausgaben am BIP sind davon etwa 4%. In der Grafik sind auch Ausgaben für innere Ordnung und Sicherheit in 5.5% enthalten, aber Militär nur 1%, die meisten Ukraine-Hilfen sind nicht drin, auch nicht Pensionen und Sozialleistungen für Soldaten und Ehemalige.
Man sieht aber v.a. das viel größere Gewicht der diversen Ausgaben, die im weiteren Sinne unter „Sozialstaat“ gefasst werden können, fast 70%. Der kapitalistische Staat in Westeuropa ist im Gefolge der historischen Klassenauseinandersetzungen in einer Weise gestaltet worden, dass die im weiteren Sinne sozialstaatlichen Aufgaben einen überwiegenden Teil der Ausgaben bestimmen, wobei In Deutschland die soziale Sicherung überwiegend über die gesetzlichen Sozialversicherungen organisiert wird, die als eine Art kollektiver Versicherungsfond der Lohnabhängigen betrachtet werden können. Diese sozialstaatlichen Funktionen sind für den Kapitalismus durchaus nützlich, sichern und verbessern seine Funktionsfähigkeit, die Arbeitsfähigkeit der Lohnabhängigen und die soziale Integration. Sie haben auch eine hohe Stabilität, sind zum erheblichen Teil grundgesetzlich gesichert und nur sukzessive umzugestalten, und aus der gesellschaftlichen und der Bevölkerungsentwicklung ergeben sich gewisse Notwendigkeiten, die tendenziell in Richtung einer Ausweitung sozialstaatlicher Leistungen gehen. Der Umfang und ihre Ausgestaltung des Sozialstaats und der staatlichen Aktivitäten insgesamt sind Gegenstand ständiger Klassenauseinandersetzungen. Grundsätzlich hat die arbeitende Klasse ein Interesse an gut ausgebauten und öffentlich organisierten Sozialstaatsleistungen, das Kapital hat Interesse an Begrenzung, repressiver Ausgestaltung und Privatisierung sozialer Leistungen, aber an guter Infrastruktur, Qualifikation und Verfügbarkeit der Arbeitskräfte (u.a. Kitas), und an Subventionen für die Wirtschaft und internationaler Interessenvertretung inkl. Militär. Daran verdienen dann auch jeweils bestimmte Kapitalfraktionen besonders, etwa der MIK, und machen dafür besonderen politischen Druck.
Also, die sozialstaatlichen und auch die anderen Ausgaben sind ziemlich festgelegt durch gesetzliche Aufgaben, tariflich geregelte Einkommen usw. und keineswegs so einfach zu reduzieren. Selbst im Gesamtzusammenhang gesehen relativ kleine Einschnitte können massive politische Probleme bringen, z.B. die Bauernproteste wegen Steuervergünstigungen von Agrardiesel und KFZ-Steuer für Landwirtschaftsfahrzeuge, unter 1 Mrd. €. Wenn es darum geht, die Militärausgaben um 20, 30, 40 Mrd. € und mehr gegenüber vorher zu steigern, ist das sehr schwierig, wenn die Lage der öffentlichen Haushalte ohnehin angespannt ist und die Wirtschaft stagniert und die Steuereinnahmen daher nicht so sprudeln wie man es gerne hätte.
Sozialstaat in D. durch Sozialversicherungen geprägt. Finanzierung v.a. durch Sozialbeiträge.
Beruht auf BIP, da geht es um Geld, Einkommen, das dann umverteilt, ausgegeben und verwendet wird für Konsum und Investitionen.
Sozialbeiträge machen großen Batzen aus, die Lohnabhängigen bezahlen überwiegend den Sozialstaat, Sozialversicherungen als kollektiver Pflichtversicherungsfond der Lohnabhängigen.
Die Beschäftigung in Deutschland ist tendenziell steigend, die Erwerbslosigkeit und auch die Unterbeschäftigung inkl. Personen in Maßnahmen und kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit ist seit dem Aufschwung ab 2005 gesunken. Der Kriseneinbruch 2020 wurde noch stärker als der 2009 auf dem Arbeitsmarkt durch Kurzarbeit (enthalten in Unterbeschäftigung) stark abgemildert. Danach steigt die Beschäftigung wieder leicht an. 2024 ist eine geringe Erhöhung der Arbeitslosigkeit um etwa 100.000 zu erwarten.
Auf Löhne v.a. der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Minijobs, dann prozentuale Beiträge, dann Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze.
40% als aus Arbeitgebersicht magische Obergrenze, ist schon überschritten.
Grafik beruht auf Schätzungen der Gesetzlichen Rentenversicherung, es gibt noch höhere Schätzungen der Krankenkassen.
Wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre in Rente gehen, wird das dazu führen, dass die Beitragsätze zur Rentenversicherung ab Ende der 2020er Jahre um einige Prozentpunkte ansteigen werden. Wenn das Rentenniveau gehalten oder sogar wieder erhöht werden soll, werden stärkere Beitragsatzsteigerungen nötig sein. Auch die Beitragsätze zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung werden ansteigen. Wenn weiterer Leistungsabbau vermieden oder die Leistungen sogar verbessert und die Eigenanteile begrenzt werden sollen, umso mehr. Damit steigen auch die Bundeszuschüsse, und sie müssten noch stärker steigen, um durch eine verstärkte Steuerfinanzierung auch hohe Einkommen und Pensionäre und Privatversicherte stärker heranzuziehen und die Beitragsätze weniger steigen zu lassen. Ein Beitragsatzpunkt bei der GRV entspricht 19 Mrd. Euro (16 Mrd. Beitragseinnahmen, 3 Mrd. Bundeszuschuss) im Jahr (die gesamten Militärausgaben 2024 entsprechen also Einnahmen aus 6 Beitragsatzpunkten). Die Arbeitgeber fordern Begrenzung des Gesamtbeitragsatzes auf 40%, wir liegen jetzt schon drüber. Hier stehen also weitere verschärfte Konflikte bevor. Und wir fordern weitere Leistungsverbesserungen und mehr und besser bezahltes Personal, also tendenziell höhere Ausgaben.
Die anderen sozialen Alternativen Erwerbstätigenversicherung in der GRV bzw. Bürgerversicherung in GKV und SPV und höhere Beitragsbemessungsgrenzen werden schwer durchsetzbar sein, es gibt massive Interessenten- und Lobbykräfte dagegen.
Neben höheren Beitragsätzen und Bundeszuschüssen .gibt es weitere Stellschrauben und Forderungen.
Es geht um Verteilungskampf. Schlechteste Option sind Kürzungen, notfalls also auch Beitragserhöhungen akzeptieren.
Es gibt aber auch massive weitere Bedarfe, an Investitionen, dazu kommen Bedarfe für Personal, und Sozialleistungen. Investitionen können verstärkt aus Krediten finanziert werden, darum Reform oder weg mit der Schuldenbremse.
Also höhere und gerechtere Steuereinnahmen sind unumgänglich.
Die Militärausgaben Deutschlands steigen schon seit mehreren Jahren wieder kräftig, seit 2019 auch anteilig am BIP (Tiefstand war 2005 mit 1,1%), 2023 über 1,5% (NATO 68 Mrd. € = >1,6%), 2024 sind es im Plan über 86 Mrd. € = 2%, davon ca. 8 Mrd. € Ukraine-Hilfen. Aktuell kam die Meldung, Deutschland habe für 2024 sogar 90,6 Mrd. € gemeldet, über 2,1% am BIP. 2025 ähnlich, dann weiter steigend über 90, 2030 über 100 Mrd. „Wir werden dauerhaft diese zwei Prozent gewährleisten, die ganzen 20er-Jahre über, die 30er-Jahre. Diese Zusage gilt.“ (Olaf Scholz, Bundeswehr-Tagung, 10.11.2023)
Kriegswirtschaften im engeren Sinne sind Ukraine, von außen finanziert 37% des BIP und zunehmend Russland 5,9%, 2024 vielleicht 8%. USA leisten absolut 38% der weltweiten Militärausgaben, auch 3,4% am BIP sind sehr hoch. Sie können das nur finanzieren, indem sie hohe Defizite fahren, und zwar sowohl Haushaltsdefizite – Schuldenbremse finden die absurd – als auch Defizite in der internationalen Leistungsbilanz. Das können in diesem Umfang und Dauer nur die USA mit dem Dollar als wichtigster Handels- und v.a. Anlagewährung der Welt. Faktisch zahlt der Rest der Welt zu einem großen Teil das US-Militär, indem sie den in den USA aus dem Nichts produzierten Dollar annehmen und die großen Vermögen und auch Währungsreserven überwiegend in Dollar, v.a. in US-Staatsanleihen angelegt sind. Wenn die ohnehin weltweit führende Militärmacht NATO, die 57% der weltweiten Militärausgaben hat, weiter aufrüstet, geht es nicht um Verteidigung, sondern ist das aggressiv, es geht um Sicherung globaler Dominanz, um Abschreckung, Eindämmung, Zurückdrängung, militärische Kontrolle und vielleicht auch Totrüsten von Staaten, die sich nicht freiwillig der Führung der USA unterwerfen und ihre nationalen Ökonomien für westliches Kapital und Konzerne öffnen.
2022 bis April 2024 hat Europa etwa 180 Mrd. Euro Hilfen an die Ukraine gegeben oder zugesagt, die USA insgesamt etwa 100 Mrd. Euro + Anfang Juni weitere knapp 30 Mrd. Euro (nicht über 60 Mrd. $, die Hälfte ist nicht für Ukraine). Die Grafik zeigt die bereits gegeben Hilfen, der US-Anteil ist besonders hoch bei Militärhilfen. Die USA geben das meiste auf Kredit, so wie sie es im WK II auch gemacht haben mit dem „Land-Lease-Act“. Im Endeffekt bleibt das meiste dann an der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten hängen, die zahlen müssen für die Ukraine. Ebenso wie das Risiko wegen der jetzt vorgesehen Aneignung der Zinserträge auf Devisenkonten der russischen Zentralbank. Und die Ukraine selbst wird zahlen müssen, v.a. indem große Teile des Agrarlandes und alles was an vormals öffentlichen Gütern privatisiert werden kann, an US und EU-Investoren verscherbelt wird. Die Ukrainer fallen überspitzt gesagt durch den Krieg nicht nur unmittelbar in Elend, sondern auch durch die westlichen Lieferungen und Zahlungen sozusagen in Schuldknechtschaft für die folgenden Generationen.
Joe Biden im Oktober 2023: „Wir schicken der Ukraine Material, das in unseren Lagern liegt. Und wenn wir das vom Kongress zugewiesene Geld verwenden, dann verwenden wir es, um unsere eigenen Lager aufzufüllen – unsere eigenen Lagerbestände mit neuer Ausrüstung – Ausrüstung, die Amerika verteidigt und in Amerika hergestellt wird: Patriot-Raketen für Luftverteidigungsbatterien, die in Arizona hergestellt werden; Artilleriegranaten, die in zwölf Staaten des Landes hergestellt werden – in Pennsylvania, Ohio, Texas; und vieles mehr.“ Im Februar 2024 bekräftigte der Präsident noch einmal: „Während dieses Gesetz militärische Ausrüstung in die Ukraine schickt, wird das Geld hier in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgegeben, an Orten wie Arizona, wo die Patriot-Raketen gebaut werden, und in Alabama, wo die Javelin-Raketen gebaut werden, und Pennsylvania, Ohio und Texas, wo Artilleriegranaten hergestellt werden.“ Und Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat: „Das Geld, über das wir hiersprechen, geht nicht in die Ukraine. Es fließt in die Rüstungsindustrie in ganz Amerika und sichert Zehntausende von amerikanischen Arbeitsplätzen. Wir bauen unsere Kapazitäten in der Verteidigungsindustrie aus, um besser mit China konkurrieren zu können.“
Während die USA also in erheblichem Maße Profiteure des Krieges sind, sind neben der Ukraine auch die EU-Staaten und insb. Deutschland Opfer des Krieges und der westlichen Kriegsunterstützung und besonders auch des Wirtschaftskrieges, der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland, die ja eigentlich die zentrale Waffe sein sollte. Die wirtschaftlichen Einbußen sind massiv, 1% weniger Wachstum sind 40 Mrd. Euro, die höheren Kosten für Gas und die Preisbremsen des Staates haben diesen zig Mrd. Euro gekostet. Problem: wenn Trump der nächste US-Präsident wird und die Ukraine-Unterstützung abbaut, wird der Druck auf die und in den westeuropäischen Staaten sich noch verstärken, um so mehr die Kosten des Krieges zu tragen.
Von Finanznöten sind alle staatlichen Ebenen und die Sozialversicherungen betroffen, aber die Militärausgaben betreffen im Kern den Bundeshaushalt, und im Verhältnis dazu stellen sich die Dimension schon größer dar. 90 Mrd. €, 2,1% des BIP entsprechen fast 19, knapp 20% des Bundeshaushalts aus. Nur 52 Mrd. € davon kommen aus dem EP 14 (Verteidigungsministerium), 7,5 Mrd. „Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“ = v.a. Militärhilfen Ukraine verbergen sich in „Allgemeine Finanzverwaltung“. Im laufenden Haushalt sind die für Militärhilfe eingeplanten 7,1 Mrd. € bereits fast vollständig verplant, bis auf 0,3 Mrd. €. Pistorius hat Mehrbedarf von 3,8 Mrd. € angemeldet (19.05.2024). Knapp 20 Mrd. kommen aus dem Sondervermögen Bundeswehr, was ab 2028 nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Nach der Mittelfristigen Finanzplanung vom Juli 2023 dürften die Militärausgaben (inkl. NATO-Kriterien) 2027 bei rund 60 Mrd.€ liegen – 2% des BIP wären aber wahrscheinlich knapp 95 Mrd.€. Diese riesige Lücke von 35 Mrd. € könnte wohl wegen der Schuldenbremse dann nur zulasten massiver Kürzungen nahezu sämtlicher sonstiger Haushalte geschlossen werden. Forderungen gehen längst weit über 2% hinaus, „Kriegstüchtigkeit“ braucht 3% und mehr.
Die großen Positionen, zu deren Lasten Aufrüstung hier nur gehen kann, sind 1. Arbeit und Soziales. Davon sind über 72% Zuschuss an die Rentenversicherung, fast der ganze Rest, knapp 27% Zuschüsse zum Bürgergeld und für Arbeitsmarktpolitik. 2. großer Posten ist dann Verkehr, dann Bildung und Forschung, dann Gesundheit, v.a. Zuschüsse an die Krankenkassen. An Bundesschuld – Zinsen – ist wenig zu machen. 40% der Befragten einer Insa-Umfrage sehen Kürzungsmöglichkeiten dagegen bei Unterstützung der Ukraine – der höchste Wert von insgesamt zehn Bereichen.