Aus: Frankfurter Rundschau, 04.12.2023
Das Interview wurde während des Was-tun-Kongresses geführt.
Quelle: Frankfurter Rundschau 04.12.2023
Der frühere Linken-Chef Klaus Ernst spricht im FR-Interview über die Chancen des Bündnisses Sahra Wagenknecht, Politik für die kleinen Leute und weshalb er Porsche für das nachhaltigste Auto hält.
Interview: Claus-Jürgen Göpfert.
Herr Ernst, vor fast 20 Jahren haben Sie mit anderen Gewerkschaftern zusammen einen Aufruf zur Gründung der Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit veröffentlicht.
Ja, das war am 12. März 2004. Wir waren sechs Bevollmächtigte der IG Metall, darunter mein Freund Peter Vetter in Kempten, der heute auch hier beim Strategie-Treffen in Frankfurt dabei ist.
Die daraus entstandene Partei WASG hat sich dann später mit der PDS zur Linken vereint, deren Bundesvorsitzender Sie von 2010 bis 2012 waren. Jetzt sind Sie aus der Linken ausgetreten und haben sich dem Bündnis Sahra Wagenknecht angeschlossen. Wie ist Ihre Gefühlslage?
Meine Gefühle sind gespalten. Einerseits fühle ich mich befreit. Denn die Linke, das war keine gemeinsame Partei mehr. Da waren sehr viele Menschen mit Zielen unterwegs, mit denen ich kaum noch etwas zu tun hatte. Andererseits spüre ich auch Wehmut. Ich war Gründungsmitglied und Vorsitzender der Partei. Das tut in der Seele weh. Und zwar deshalb, weil es uns nicht gelungen ist, eine gemeinsame Linke zu erhalten.
Was ist Ihr Hauptvorwurf an die Linken?
Es haben Strömungen in der Partei eine Mehrheit errungen, die nicht mehr die Themen nach vorne gestellt haben wie die politische Interessenvertretung der „normalen“ Leute, der abhängig Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner, also der Mehrheit der Gesellschaft, sondern Minderheitenthemen für Lifestyle-Linke. Man wollte grüner werden als die Grünen, der Kampf gegen Rassismus und für unbegrenzte Zuwanderung wurden zu den Themen, welche die Linken in den Mittelpunkt stellten. Diese Themen wurden von den Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger in den Mittelpunkt gestellt. Gleichzeitig bekämpfte man individuelle Mobilität. Tatsächlich sichert die Autoindustrie auch mit dem Wandel hin zur Elektromobilität die Existenz Hunderttausender von Menschen. Da wundert mich nicht, dass sich viele von uns abgewendet haben.
Aber was spricht denn dagegen, Rassismus zu bekämpfen? Nichts.
Selbstverständlich sind wir gegen Rassismus und Ausgrenzung. Aber eine linke Partei muss vor allem die Themen in den Vordergrund stellen, welche die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Mehrheit der Leute betreffen. Es geht nicht darum, Migranten einen Sonderstatus zu geben, sondern sie zu integrieren. Mit der falschen Themensetzung haben wir die Zustimmung gerade der Arbeiter verloren. Früher wählten uns 18 Prozent dieser Gruppe, heute sind es noch drei Prozent.
Warum ist unbegrenzte Zuwanderung falsch?
Weil damit das Asylrecht in Frage gestellt wird, weil sich Menschen, die hier leben, ungerecht behandelt fühlen und weil die Aufnahmefähigkeit und der Sozialstaat an seine Grenzen kommen. Die Städte, Gemeinden und Landkreise können die Integration nicht mehr leisten. Die Bevölkerung ist überfordert. Davon profitiert leider die AfD. An diesem Zuwachs der AfD-Wähler hat die etablierte Politik Schuld. Da haben alle anderen Parteien versagt, einschließlich der Linken. Es läuft etwas falsch. Es muss unser Ziel sein, illegal zugewanderte Menschen einzudämmen und auch wieder in ihre Herkunftsländer zurückzubringen, um unser Asylrecht zu erhalten und auch künftig den Menschen Schutz geben zu können, die unter das Asylrecht fallen. Das Asylrecht darf nicht angetastet werden.
Was verstehen Sie unter vernünftiger Klimapolitik?
Eine Klimapolitik, die praktikabel ist, die Menschen mitnimmt und weniger auf Ideologie und Umerziehung setzt. Der öffentliche Personennahverkehr muss zuerst ausgebaut werden, er muss endlich so attraktiv werden, dass viel mehr Menschen ihn nutzen. Es ist dagegen unvernünftig, den privaten Verkehr durch CO2-Abgaben so teuer zu machen, dass viele Privatleute ihn sich nicht mehr leisten können. Es war unvernünftig, das Gebäudeenergiegesetz zu verabschieden und die Menschen zum Einbau einer neuen Heizung zu zwingen, ohne dass Stromnetze ausgebaut sind und preiswerte Alternativen zur Verfügung stehen. Wir brauchen einen Ausbau des Wasserstoffnetzes, erst dann kann man umstellen. Der Preis muss stimmen für die Menschen.
Sie hätten also das Gebäudeenergiegesetz in diesem Jahr nicht vorgelegt und beschlossen?
Genauso ist es.
Sie sind gelernter Elektromechaniker, traten 1972 in die IG Metall ein, saßen als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten großer Unternehmen, etwa bei Porsche. Man hat sie einmal Porsche-Klaus genannt, weil Sie dem Aufsichtsrat der Firma angehörten und stolz einen Porsche fuhren.
Den Porsche fahre ich immer noch. Der Porsche ist das nachhaltigste Auto, das es gibt. 70 Prozent aller je zugelassenen Porsche fahren noch immer. Die Umstellung der Automobile auf Elektromobilität wird nicht so schnell zu bewältigen sein, wie es die Politik heute verspricht. Studien besagen, dass im Jahre 2045 weltweit doppelt so viele Autos unterwegs sind wie heute. Die Hälfte davon Verbrenner, also genau so viele wie heute. Wenn man wie geplant im Jahre 2035 die Produktion von Verbrenner-Automobilen einstellt, werden sie dennoch weitere zehn Jahre bei uns fahren und noch einmal zehn Jahre länger in Europa und 30 Jahre weltweit. Andere Länder werden weiter Verbrenner bauen. Eine Reduktion von CO2 bei der Mobilität geht nur mit klimaneutralen synthetischen oder Bio-Kraftstoffen, trotz immer mehr Elektrofahrzeugen.
Wie geht es jetzt weiter mit der Partei von Sahra Wagenknecht, der Sie sich anschließen wollen?
Dass ich dieses Projekt unterstütze, habe ich bereits vor Monaten öffentlich erklärt. Die Partei wird im Lauf des Januars 2024 gegründet werden, ein genaues Datum für die Gründung haben wir noch nicht festgelegt. Am 27. Januar kommen dann die Mitglieder zu einem ersten Bundesparteitag in Berlin zusammen.
Wie hoch schätzen Sie das politische Potenzial der neuen Partei ein, wie viel Prozent trauen Sie der Partei bei Wahlen zu?
Ich will da keine Prognose machen. Die Umfragen, die es zu diesem Thema gibt, fallen für uns sehr gut aus. Ich will nur so viel sagen: Ich denke, wir werden auf Anhieb deutlich über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Ich erlebe gegenwärtig, dass sich sehr viele Initiativen in Deutschland gründen, die uns unterstützen. Wir wollen aber kontrolliert wachsen und die Partei langsam in den Bundesländern aufbauen.
Wie wollen Sie denn verhindern, dass die neue Partei teilweise zum Sammelbecken von durchgeknallten Rechtsextremen wird?
Wir wollen keine Mitglieder, die den Charakter unserer Partei gegen unseren Willen verändern. Wir sind deshalb dabei, eine Parteisatzung zu formulieren, dass ein geordnetes Aufnahmeverfahren gilt. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist, dass ein Mitglied das Programm unterstützt, das wir in unserem Manifest veröffentlicht haben.
Welche Rolle werden Sie in der neuen Partei spielen, was wird Ihre Aufgabe sein?
Ich werde beim Aufbau der Partei helfen und dabei mitwirken, dass sich abhängig Beschäftigte und sogenannte kleine Leute durch uns vertreten fühlen. Die neue Partei muss und wird wieder Zugang haben zu den Menschen, die ihr Geld durch Arbeit verdienen. Sie muss für Rentnerinnen und Rentner genauso attraktiv sein wie für Menschen, die unsere Hilfe brauchen, weil ihre Einkommen trotz Arbeit ein würdevolles Leben nicht ermöglichen.
Die erste Wahl, bei der die Partei antritt, wird die Europawahl im Juni 2024 sein.
Das ist richtig. Dann folgen die Landtagswahlen in den östlichen Bundesländern, also in Sachsen und Thüringen am 1. September 2024 und dann in Brandenburg am 22. September. Aber unser großes Ziel ist natürlich die Bundestagswahl im Herbst 2025.
Aber wenn Sie tatsächlich bei der Bundestagswahl 2025 antreten wollen, muss die Partei in allen 16 Bundesländern vertreten sein, mit einem breiten Netz von Kandidatinnen und Kandidaten. Ist das überhaupt zu schaffen, ist das realistisch?
Ich bin da zuversichtlich, dass das klappt. Ich sage noch einmal: Wir werden langsam, aber kontinuierlich wachsen. Wir werden versuchen, respektable Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, die Anerkennung in der Gesellschaft genießen.
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Zur Person
Klaus Ernst (69) ist Mitglied im Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Der Bundestagsabgeordnete trat am 23. Oktober aus der Linkspartei aus. 2005 wurde er als Direktkandidat der unterfränkischen Industriestadt Schweinfurt zum ersten Mal in den Bundestag gewählt.
Von 1995 bis 2010 war er erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt. 2004 wurde Ernst aus der SPD ausgeschlossen, gründete die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) mit und war an ihrer Fusion zur Linkspartei beteiligt.
Schweinfurt spielt nun wohl auch bei der Gründung einer Wagenknecht-Partei eine Rolle. Am Samstag trat dort ein Großteil des Schweinfurter Parteikerns in Anwesenheit von Ernst aus der Linkspartei aus. Hier gibt es offensichtlich Sympathien für das BSW. kbi